Das tragische Schickal von Gökhan Acikkollu

Das tragische Schickal von Gökhan Acikkollu

Ein Symbol für die Tenkil-Katastrophe und staatliche Verbrechen in der Türkei

Die Geschichte des verstorbenen Geschichtslehrers Gökhan Açıkkollu, der infolge der Folter ums Leben kam, steht exemplarisch für das Ausmaß der Verbrechen in der Tenkil-Katastrophe, die vom türkischen Staat begangen wurden.

Gefoltert bis zum Tod: Die Geschichte von Gökhan Açıkkollu

Gökhan Açıkkollu wurde am 24. Juli 2016, nach Verhängung des Ausnahmezustands aufgrund eines Notstandsdekrets, unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation festgenommen. Gewaltsam wurde er aus seiner Wohnung abgeführt und ins Polizeipräsidium gebracht. Dort wurde er 13 Tage lang systematischer Folter ausgesetzt. Am 5. August 2016 verstarb er um 4:19 Uhr morgens an einem Herzinfarkt im Untergeschoss C-3 des Polizeipräsidiums Istanbul. Seine Mitinsassen in der Zelle, ein Professor und drei Ärzte, waren trotz Herzdruckmassagen und Wiederbelebungsmaßnahmen nicht in der Lage, ihn am Leben zu erhalten. Laut dem Bericht der Gerichtsmedizinerin und Präsidentin der Stiftung für Menschenrechte der Türkei, Prof. Dr. Şebnem Korur Fincancı, der auf ärztlichen Berichten und weiteren Befunden basiert, wurde festgestellt, dass Gökhan Açıkkollus Herzinfarkt aufgrund der Folgen von Folter, damit verbundenen Panikattacken und der Nichtbeachtung seiner Diabetes-Medikamente eingetreten ist. Vor seinem Tod wurde er bereits mehrmals aufgrund diabetischer Komas ins Krankenhaus gebracht.

Unmenschliche Haftbedingungen und Unterlassung von Hilfe

Nach seinem Tod erstattete seine Familie Anzeige gegen die verantwortlichen Beamten wegen Folter. Die Staatsanwaltschaft entschied jedoch sofort, dass die Vorwürfe keiner Untersuchung bedürfen. Gökhan Açıkkollus Frau, Tülay Açıkkollu, konnte die Foltervorwürfe detailliert mit Dokumenten belegen. In einem Videoausschnitt, veröffentlicht am 5. August 2019 von Exil-Journalisten, sind die Versäumnisse, die unmenschlichen Zustände und die Folter deutlich zu erkennen, die letztendlich zu seinem Tod führten. In der Aufzeichnung ist zu sehen, wie er in einer Einzelzelle mit fünf weiteren Insassen eingesperrt war und sich das Bett mit dreien von ihnen teilen musste. Man kann auch erkennen, wie Gökhan zunächst die Beamten um Hilfe bat, als er merkte, dass sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte. Leider erhielt er keine Hilfe. Verzweifelt kehrte Gökhan Açıkkollu in sein Bett zurück und erlitt kurz darauf einen Herzinfarkt. Die Mitinsassen wurden durch die leidvollen Geräusche, die er von sich gab, geweckt und versuchten sofort zu helfen. Sie riefen minutenlang um Hilfe, jedoch vergebens. Jede Sekunde war entscheidend. Die Mitinsassen versuchten, seine verkrampften Hände zu öffnen. Schließlich kam ein Wächter, aber zu diesem Zeitpunkt zeigte Gökhan bereits keine Lebenszeichen mehr.

Die verzweifelten Bemühungen der Familie um Gerechtigkeit

Kurze Zeit später kam ein weiterer Beamter in die Zelle. Sie trugen ihn nach draußen in den Flur, wo er wenig später verstarb. Sein Körper wies Spuren der Folter auf, und er trug die Kleidung, die er während der Folter trug. Tülay Açıkkollu hatte ihrem Mann eine Notiz in die Kleidung gelegt, als sie ihm nach seiner Verhaftung Kleidung ins Gefängnis brachte. Auf dieser Notiz stand: „Wir lieben dich sehr. Mach dir um uns keine Sorgen. Pass bitte auf dich auf. Deine Familie. 02:00 Uhr, der 28.07.2016.“ Diese Notiz wurde in seinen Sachen wiedergefunden, als die Familie seine Habseligkeiten für das Tenkil Museum vorbereitete.

Mümine Açıkkollu erzählte, wie sie die kaputte Brille ihres Mannes aus dem Polizeipräsidium erhielt:

„Ich rief die Anti-Terror-Behörde an, um die verbliebenen Sachen meines Mannes zu erhalten. Als ich seine Sachen bekam, erlebte ich einen weiteren Schock. Die Medikamentenbox, die ich ihm erst vier Tage nach seiner Verhaftung zukommen lassen konnte, war ungeöffnet. Ich erhielt seine Sachen in genau dem Zustand, in dem ich sie gebracht hatte. Nur seine Brille befand sich nicht in den Sachen. Mir wurde gesagt, dass die Brille weggeworfen und nicht mehr auffindbar sei. Ich vermerkte dies auf dem Übergabeprotokoll, das ich unterschreiben musste. Daraufhin hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit den Beamten. Sie forderten mich auf, von meinem Hinweis abzurücken. Ich bestand jedoch darauf, das neue Übergabeprotokoll nicht zu unterschreiben, nahm die Sachen meines Mannes und verließ den Raum. Zehn Minuten später erhielt ich einen Anruf, dass die Brille doch gefunden wurde und ich sie sofort abholen könne. Dafür musste ich das Übergabeprotokoll mit dem Hinweis zurückgeben und ein neues unterschreiben.“

Die unmenschliche Behandlung selbst nach dem Tod

Die gesamte Familie erlitt ein schweres psychisches Trauma. Doch der Tod des geliebten Vaters und Ehemanns markierte nicht das Ende der Verbrechen gegen die Familie Açıkkollu im Rahmen der Tenkil-Katastrophe. Selbst im Tod ließ man Gökhan Açıkkollu keine Ruhe. Während sein Leichnam noch in der Gerichtsmedizin in Istanbul war, wurde der Familie mitgeteilt, dass ihm als „Vaterlandsverräter“ keine ordnungsgemäße Bestattung zustehe und er daher auf dem „Friedhof für Verräter“ beerdigt werde. Nach dem 15. Juli 2016 wurde in Istanbul ein spezieller Friedhof für vermeintliche Terroristen eingerichtet, der den Namen „Friedhof der Vaterlandsverräter“ trägt. Die Familie Açıkkollu war natürlich gegen eine Bestattung Gökhans auf diesem Friedhof. Die Gerichtsmediziner verweigerten jedoch im Auftrag der Behörden die ordnungsgemäße Herausgabe des Leichnams. Der Familie wurde nicht einmal ein Leichenwagen gestattet. Daher musste sie den Leichnam im eigenen PKW nach Konya bringen, um ihn dort zu beerdigen.

Tülay Açıkkollu wollte vor der Beerdigung ihres Mannes noch Haare und Fingernägel entnehmen lassen, für den Fall, dass eine zukünftige Autopsie erforderlich wäre. Es konnte jedoch nur ein Stück Fingernagel entnommen werden, da ihm im Gefängnis tiefe Schnittwunden zugefügt wurden, unter anderem um die Spuren der Folter zu verwischen.

Von jeglicher Schuld befreit- nach dem Tod

Im Februar 2018 erhielt Tülay Açıkkollu einen schockierenden Anruf. Der Schulleiter ihres verstorbenen Mannes meldete sich und teilte mit, dass Gökhans Lehrbefugnis wiederhergestellt und er für unschuldig erklärt worden sei. Er könne abgeholt werden. Die gleiche türkische Regierung, die einen unschuldigen Lehrer als Terroristen und Vaterlandsverräter brandmarkte, sprach ihn nun von jeglicher Schuld frei.

Der Weg zur Flucht und das Engagement für Aufklärung

Tülay Açıkkollu wollte die tragische Geschichte ihres Mannes weltweit bekannt machen. Kurz vor ihrem Treffen mit einem Journalisten der New York Times wurde sie jedoch verhaftet. Ein paar Tage später wurde sie nach ihrem Verhör wieder freigelassen. An diesem Tag beschloss sie, das Land zu verlassen. Sie wagte mit ihren Kindern den gefährlichen Fluchtweg über den Mariza-Fluss und erreichte unversehrt das gegenüberliegende Ufer in Griechenland. Derzeit befindet sie sich mit ihren Kindern Zeynep und Fatih in einem Land innerhalb der EU und versucht trotz aller Umstände, am Leben festzuhalten. Sie hat sich der Aufklärung der Tenkil-Katastrophe gewidmet und ist Gründungsmitglied des Tenkil Museums.

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Das Tenkil Museum ist eine Erinnerung an das schreckliche Potenzial der Menschheit für Gewalt und unmenschliche Handlungen.

Die Opfer, die unter der systematischen Unterdrückung der derzeitigen türkischen Regierung leiden, verwenden den Begriff TENKİL um diese Menschenjagd zu beschreiben.

TENKİL bedeutet wörtlich systematische Unterdrückung, Ausgrenzung, Vertreibung, Auslöschung und Entfernung aus dem öffentlichen Raum sowie Ausrottung.

Um es bildlich zu beschreiben: TENKİL ist das vollständige Verschwinden von allen Möglichkeiten, so dass eine Person keine Wurzeln mehr schlagen und keine Früchte mehr tragen kann.